New Work in der Pflege: Von Schichtplänen bis Selbstverwirklichung

Anfang des Jahres waren wir zu Besuch bei den Waldkliniken Eisenberg. Hinter der modernen Architektur, dem Hochglanz-Design, der Sterneküche und dem Kaminfeuer steht eine mutige Philosophie. Dinge anders machen, neu machen. Konsequent partizipativ. „Den Begriff New Work kannte ich zuvor gar nicht,“ kommentierte David-Ruben Thies beim Digitalen Klinikforum. Mittlerweile hat er ein Buch zum Thema geschrieben und die Waldkliniken gelten als Vorzeigeprojekt. Er hatte sich und die Mitarbeitenden schon zuvor immer wieder gefragt: „Wie wollen wir hier gemeinsam gut arbeiten.“ 

Kann New Work wirklich so einfach sein?

Was verbirgt sich hinter dem Begriff New Work?

Der Pflegebereich steht vor einer nie dagewesenen Herausforderung: Einem prognostizierten Mangel von über 500.000 Fachkräften in den nächsten zehn Jahren.

New Work, ein Konzept, das Autonomie, Flexibilität und Sinnstiftung in den Vordergrund stellt, könnte ein Schlüssel zur Lösung dieser Krise sein. Indem es den Fokus auf die Bedürfnisse und das Wohlbefinden der Pflegekräfte legt und gleichzeitig innovative Arbeitsmodelle fördert, bietet New Work eine Chance, den Pflegeberuf attraktiver zu machen.

Diagram Wie viele Fuehrungskraefte in Krankenhaeusern und Kliniken setzen auf New Work
Wie viele Führungskräfte in Krankenhäusern und Kliniken setzen auf New Work?

New Work in Krankenhäusern und Kliniken

In unserer Studie zur „Zukunft des Deutschen Klinikmarktes“ haben wir über 250 Führungskräfte aus Krankenhäusern und Kliniken gefragt: Setzen Sie für die Zukunft auf New Work?

Für 15,4 % ist das Thema nicht relevant. 57,7 % befinden sich in der Umsetzung oder planen diese. Etwas mehr als ein Drittel (36, 9 %) sagen sie setzen bereits aktiv auf New Work.

Auch der Blick auf aktuelle Initiativen und Reformen zeigt, dass das Umdenken bereits begonnen hat, doch der Weg ist noch lang und erfordert gemeinsame Anstrengungen von Politik, Gesellschaft und den Einrichtungen selbst.

Was zählt zu New Work in der Pflege?

New Work umfasst eine Vielzahl von Ansätzen und Maßnahmen, die darauf abzielen, die Arbeitsbedingungen und die Zufriedenheit von Pflegekräften zu verbessern, die Qualität der Patientenversorgung zu steigern und den Beruf attraktiver zu machen.

  1. Flexible Arbeitszeitmodelle: Ermöglichung von Teilzeitarbeit, Gleitzeit, Schichtarbeit mit selbstbestimmten Dienstplänen und Möglichkeiten für Sabbaticals, um eine bessere Work-Life-Balance zu erreichen.
  2. Selbstorganisierte Teams: Förderung von Teamstrukturen, in denen Pflegekräfte mehr Autonomie über ihre Arbeitsabläufe und Entscheidungen haben, inklusive der Dienstplangestaltung und der Organisation der Patientenversorgung.
  3. Partizipative Führung und Entscheidungsfindung: Einbeziehung der Mitarbeiter in Entscheidungsprozesse, flachere Hierarchien und ein Führungsstil, der auf Vertrauen, Unterstützung und Empowerment basiert.
  4. Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten: Angebot von Zugängen zu beruflicher Weiterbildung, Spezialisierung und persönlicher Entwicklung, um die Kompetenzen der Pflegekräfte zu erweitern und ihre Karrieremöglichkeiten zu verbessern.
  5. Digitale Tools und Technologien: Einsatz von digitalen Lösungen und Technologien zur Entlastung von administrativen Aufgaben, Verbesserung der Kommunikation und Effizienzsteigerung in der Pflege.
  6. Gesundheitsförderung und Präventionsangebote: Maßnahmen zur Förderung der physischen und psychischen Gesundheit der Mitarbeiter, z.B. durch Angebote zur Stressbewältigung, Fitnessprogramme und gesundes Essen am Arbeitsplatz.
  7. Sinnstiftung und Werteorientierung: Schaffung einer Arbeitsumgebung, in der die Werte und das Engagement der Pflegekräfte für ihre Arbeit anerkannt und gefördert werden, inklusive der Fokussierung auf die Qualität der Patientenversorgung.
  8. Moderne Arbeitsumgebungen: Gestaltung von Arbeitsplätzen, die Wohlbefinden und Produktivität fördern, z.B. durch ergonomische Arbeitsmittel, ausreichend Tageslicht und Ruheräume.
  9. Feedbackkultur und Wertschätzung: Etablierung einer offenen Feedbackkultur, in der konstruktives Feedback gegeben und angenommen wird, sowie Anerkennung und Wertschätzung der Arbeit aller Pflegekräfte.
  10. Inklusion und Diversität: Förderung einer inklusiven Arbeitskultur, die Vielfalt schätzt und Diskriminierung aktiv entgegenwirkt, um ein positives und unterstützendes Arbeitsumfeld für alle zu schaffen.

 

Viele dieser Themen werden von Krankenhäusern und Kliniken bereits angegangen. Doch dahinter muss ein durchdachtes Konzept stehen.

Die Einführung von New Work im Pflegebereich ist mehr als eine Notwendigkeit – es ist eine Chance, den Beruf zukunftsfähig zu gestalten und den kommenden Generationen eine Perspektive in einem der wichtigsten sozialen Berufsfelder zu bieten.

Teufelskreis Personalmangel in Krankenhaeusern
Teufelskeis Personalmangel

Aktuelle Arbeitsbedingungen in der Pflege

Die Arbeitsbedingungen in der Pflege stehen schon lange in der Kritik. Ein Schlüsselmoment war die COVID-19-Pandemie, die nicht nur die Systemrelevanz, sondern auch die enormen Belastungen des Pflegepersonals ins Rampenlicht rückte.

Studien zeigen, dass Pflegekräfte häufig unter Stress, hohen Arbeitsbelastungen und emotionaler Erschöpfung leiden. Besonders alarmierend ist die Erkenntnis, dass sich 62 % der Pflegekräfte regelmäßig im Zustand der körperlichen Erschöpfung befinden.  Über 30 % der Pflegeazubis brechen die Ausbildung vorzeitig ab.

Hinzu kommt die Diskrepanz zwischen der hohen Verantwortung und der oft als unzureichend empfundenen Vergütung. Diese Situation führt zu einer hohen Fluktuation und einem stetig wachsenden Fachkräftemangel in der Pflege. Die daraus resultierende Überlastung des verbleibenden Personals schafft einen Teufelskreis, der die Arbeitsbedingungen weiter verschärft.

Ein Blick auf die Zahlen verdeutlicht die Dimension des Problems: Während die Bevölkerung altert und der Bedarf an Pflegeleistungen steigt, sinkt die Zahl derer, die bereit sind, unter diesen Bedingungen zu arbeiten.

Diese Fakten machen deutlich, dass ein Umdenken in der Gestaltung der Arbeitswelt in der Pflege dringend notwendig ist, um den Beruf attraktiver zu machen und langfristig eine qualitativ hochwertige Versorgung sicherzustellen.

Praxisbeispiele für New Work in der Pflege

In der Umsetzung von New Work im Pflegebereich bieten Pflegeeinrichtungen Beispiele dafür, wie die Prinzipien von Autonomie, Flexibilität und sinnstiftender Arbeit realisiert werden können.

Fallbeispiel 1: RoMed Kliniken Bayern

Die RoMed Kliniken in Bayern haben sich auf den Weg gemacht, traditionelle Arbeitsmodelle zu hinterfragen und durch neue Ansätze zu ersetzen. Durch die Einführung von partizipativen Führungsstrukturen und die Stärkung der Eigenverantwortung der Pflegekräfte, konnten sie nicht nur die Mitarbeiterzufriedenheit signifikant steigern, sondern auch die Patientenversorgung verbessern. Teams organisieren ihre Dienstpläne nun selbstständig, was zu einer besseren Work-Life-Balance führt und die Attraktivität der Arbeitsplätze erhöht.

Fallbeispiel 2: Bosold Pflege GmbH Leipzig

Ein weiteres Beispiel ist die Bosold Pflege GmbH in Leipzig, die mit selbstorganisierenden Teams und einer deutlichen Flexibilisierung der Arbeitszeiten neue Wege geht. Die Pflegekräfte dort haben die Freiheit, ihre Arbeitszeiten und -abläufe eigenständig zu gestalten, was zu einer höheren Arbeitszufriedenheit und zu einer spürbaren Verbesserung der Versorgungsqualität geführt hat. Dieser Ansatz hat nicht nur die Fluktuation reduziert, sondern auch das Interesse potenzieller neuer Mitarbeitender geweckt.

Fallbeispiel 3: Waldkliniken Eisenberg

Die Klinik zeichnet sich durch eine moderne Architektur aus, die das Wohlbefinden der Mitarbeiter und Patienten in den Mittelpunkt stellt. Der Eisenberg-Tarif, flexible Arbeitszeitmodelle, partizipative Entscheidungsfindung und ein umfangreiches Angebot an Fort- und Weiterbildungen sind nur einige der Maßnahmen, die dazu beitragen, die Arbeitszufriedenheit zu steigern und die Mitarbeiterbindung zu erhöhen. Für den Neubau der Kliniken wurden die Mitarbeitenden miteinbezogen. Es entstanden über 1.000 Ideen, um den Arbeitsalltag zu verbessern. 900 davon wurden umgesetzt.

"Wir haben de komplette Belegschaft - von der Reinigungsfachkraft, die Therapeuten bis zu Chefärzten und Oberärzten - komplett mitgenommen. Es stand im Raum: Wie wollen wir hier überhaupt zusammen arbeiten. Glückliche Patienten, glückliche Mitarbeiter und damit vielleicht auch noch 2,50 € verdienen. Wie kann das so funktionieren, dass die, die es betrifft einfach glücklich sind? Eigentlich relativ banal."

Die Beispiele zeigen, dass es nicht nur um die Einführung neuer Arbeitszeitmodelle geht, sondern vielmehr um einen umfassenden kulturellen Wandel, der Mitarbeitende in den Mittelpunkt stellt und ihnen mehr Gestaltungsfreiheit und Verantwortung überträgt.

Durch diesen Ansatz können Pflegeeinrichtungen nicht nur die Arbeitszufriedenheit ihrer Beschäftigten erhöhen, sondern auch als attraktive Arbeitgeber im hart umkämpften Markt um Pflegefachkräfte hervorstechen.

Die fünf Säulen von New Work in der Pflege

Individualität:

  • Die Anerkennung und Förderung individueller Fähigkeiten und Interessen steht im Vordergrund.
  • Mitarbeitende erhalten Spielräume, um eigene Ideen und Lösungsansätze in die tägliche Arbeit einzubringen, was die Motivation und das Engagement fördert.
  • Individuelle Weiterbildungs- und Entwicklungspfade werden geschaffen, um den unterschiedlichen Karrierezielen der Pflegekräfte gerecht zu werden.

Führung:

  • Der Wandel hin zu partizipativen Führungsstilen ermutigt zu mehr Eigeninitiative und Mitgestaltung.
  • Flache Hierarchien und transparente Kommunikationswege verbessern das Arbeitsklima und stärken das Vertrauensverhältnis zwischen Führungskräften und Mitarbeitenden.
  • Führungskräfte fungieren als Coaches und Unterstützer, die die individuelle Entwicklung ihrer Teammitglieder fördern.

Sinnstiftung:

  • Die Arbeit im Pflegebereich wird so gestaltet, dass sie für die Mitarbeitenden einen erkennbaren Beitrag zum Wohl der Gesellschaft leistet.
  • Durch die Reflexion und Kommunikation über den Wert und die Bedeutung der eigenen Arbeit wird das Berufsethos gestärkt und eine tiefere berufliche Zufriedenheit erreicht.
  • Teams arbeiten gemeinsam an Projekten, die über den alltäglichen Pflegebetrieb hinausgehen und die Qualität der Patientenversorgung verbessern.

Flexibilität und Vergütung:

  • Flexible Arbeitszeitmodelle, wie Gleitzeit, Teilzeit, oder Jobsharing, ermöglichen eine bessere Work-Life-Balance.
  • Vergütungsmodelle werden so angepasst, dass sie nicht nur leistungsgerecht sind, sondern auch besondere Leistungen und Zusatzqualifikationen honorieren.
  • Die Möglichkeit, zeitweise aus dem Homeoffice zu arbeiten, wo dies umsetzbar ist, beispielsweise in administrativen Tätigkeitsfeldern, trägt zur Flexibilisierung bei.

Technologie/Digitalisierung:

  • Der Einsatz moderner Technologien und digitaler Hilfsmittel kann Routineaufgaben erleichtern und mehr Zeit für die eigentliche Pflegetätigkeit schaffen.
  • Digitale Weiterbildungsangebote fördern die kontinuierliche berufliche Entwicklung und sind flexibel nutzbar.
  • Durch digitale Kommunikationstools wird der Informationsaustausch im Team und mit den Patienten vereinfacht, was die Zusammenarbeit und Patientenbetreuung verbessert.

New Work erfordert Wandel

Zu den größten Hürden bei der Einführung von New Work zählt leider zumeist der Widerstand innerhalb der Organisation. Traditionelle Arbeitsmodellen und tief verwurzelte Hierarchiestruktur lassen sich nicht so leicht aufbrechen.

Der kulturelle Wandel hin zu mehr Autonomie und Flexibilität erfordert Zeit und das Engagement aller Beteiligten, insbesondere der Führungskräfte, die eine Schlüsselrolle bei der Umsetzung spielen.

Die Implementierung von New Work in der Pflege zeigt auf, wie essentiell ein Umdenken in der Arbeitsgestaltung und Mitarbeiterführung für die Zukunft des Gesundheitswesens ist. Durch die Einführung flexibler Arbeitsmodelle, die Stärkung von Autonomie und Teilhabe sowie den Fokus auf persönliche Weiterentwicklung und sinnstiftende Tätigkeiten, können Pflegeeinrichtungen eine Arbeitsumgebung schaffen, die nicht nur die Mitarbeiterzufriedenheit erhöht, sondern auch die Qualität der Patientenversorgung steigert.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass New Work im Pflegebereich das Potenzial birgt, den Fachkräftemangel zu mildern, indem der Beruf attraktiver gemacht und die Arbeitsbedingungen verbessert werden. Gleichzeitig stellt dieser Wandel Einrichtungen vor Herausforderungen, die nur durch eine offene, innovationsfreudige Unternehmenskultur, die Bereitschaft zum kontinuierlichen Lernen und die aktive Einbindung aller Mitarbeiter bewältigt werden können.

Zukunft der Pflege

Der Ausblick in eine von New Work geprägte Zukunft im Pflegebereich ist vielversprechend. Es bedarf jedoch einer branchenweiten Anstrengung, um die notwendigen Veränderungen umzusetzen und nachhaltig zu etablieren. Ein wichtiger Schritt ist die Sensibilisierung für die Thematik, die Schaffung von Plattformen für den Austausch von Best Practices und die Förderung von Pilotprojekten, die als Leuchttürme für den Wandel dienen können.

Letztendlich ist die Einführung von New Work in der Pflege mehr als eine organisatorische Veränderung; es ist ein kultureller Wandel, der das Potenzial hat, den Pflegeberuf zukunftsfähig zu machen. Durch die aktive Gestaltung dieses Wandels können Pflegeeinrichtungen nicht nur als attraktive Arbeitgeber positioniert, sondern auch als Vorreiter in der Schaffung einer neuen Arbeitswelt im Gesundheitswesen angesehen werden. Der Dialog und die Zusammenarbeit zwischen allen Beteiligten sind dabei der Schlüssel zum Erfolg.

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